Die Serie 55 Voices for Democracy knüpft an die 55 BBC-Radioansprachen an, in denen sich Thomas Mann während der Kriegsjahre von seinem Haus in Kalifornien aus an Hörer:innen in Deutschland, der Schweiz, Schweden, den besetzten Niederlanden und Tschechien wandte. Von 1940 bis November 1945 appellierte er monatlich an tausende Hörer:innen, sich dem nationalsozialistischen Regime zu widersetzen und wurde so zur bedeutendsten deutschen Stimme im Exil.  In diesem Sinne senden 55 renommierte internationale Intellektuelle, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen vom Thomas Mann House aus Ansprachen, in denen sie ihre Ideen für die Erneuerung der Demokratie vorstellen. Zu den Teilnehmenden zählen die Politikwissenschaftler Francis Fukuyama und Helmut Anheier, Genderforscherin Karen Tongson, der Philosoph Rainer Forst, die Soziologinnen Ananya Roy und Jutta Allmendinger, der Germanist Jan Philipp Reemtsma, Historiker Timothy Snyder, sowie viele andere.

Die Serie wird präsentiert vom Thomas Mann House in Kooperation mit Deutschlandfunk, Los Angeles Review of Books und Süddeutsche Zeitung.

Talks:

„Wenn der Satz Gültigkeit behalten soll, dass die Deutschen nach 1945 aus ihrer Geschichte gelernt haben, dann bleibt die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte vor 1945 eine unabschließbare Aufgabe“, sagt Norbert Frei. In seinem Vortrag betont er, wie wichtig es ist, der deutschen Erinnerungsethik neue Perspektiven hinzuzufügen, ohne dass die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit aufgegeben werden darf. Frei ist einer der führenden Experten für die Geschichte, die Folgen und die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Europa.

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„Das Dilemma, vor dem emanzipatorische Politik steht, ist die Frage, wie man Differenzen aushandeln kann, und zwar nicht nur zwischen linker und rechter Politik, sondern auch zwischen verschiedenen kritischen Bewegungen", argumentiert die politische Theoretikerin Nikita Dhawan, die in ihrem Vortrag der Frage nachgeht, was wir tun können, um die Demokratie für die Zukunft zu sichern. Nikita Dhawan ist Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Ihre Forschungs- und Lehrschwerpunkte sind globale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Demokratie und Dekolonisierung. Im Jahr 2023 wurde sie mit der Gerda-Henkel-Gastprofessur an der Stanford University und dem Thomas Mann Fellowship ausgezeichnet.

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„Die Verluste – sowohl die bereits erlebten als auch die in der Zukunft antizipierten – lassen sich nicht mehr derart leicht unsichtbar machen“, sagt der Soziologe und 2022 Thomas Mann Stipendiat Andreas Reckwitz. Ob Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder politische Rückschritte: Reckwitz glaubt, dass die Integration von Verlusten und eine Neuformulierung des Fortschrittbegriffs dazu beitragen werden, das Vertrauen der Gesellschaft in der Demokratie zu stärken. Er ist Autor mehrerer Publikationen und schreibt des Weiteren auch Beiträge für Die Zeit und Der Spiegel

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„Wenn man zurückblicken und nach vorne schauen kann, wenn man gelernt hat, in zwei oder mehr Sprachen zu denken, ist es einfacher, sich mit gegensätzlichen Ideen auseinanderzusetzen und den richtigen Weg zu finden", meint Anthony Rendon. Der kalifornische Politiker sieht in der jungen Generation von Einwanderer:innen die Zukunft Kaliforniens und glaubt, dass Künstler:innen uns mit neuen Visionen leiten können. Er spricht über den Einfluß früherer Generationen von Geflüchteten - darunter Thomas Mann - auf Kalifornien, und ist gespannt, was die aktuellen Opfer globaler Konflikte - Geflüchtete aus Afghanistan, der Ukraine und Syrien - zu sagen haben. 

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„Eine freie demokratische Gesellschaft produziert Konflikte. Daran ist nichts Verwerfliches, [...] solange sich die Bürger:innen als Partner in einem demokratischen Projekt verstehen können“, argumentiert Jan Werner Müller. In seiner Rede spricht der Professor an der Princeton University über Parteien und professionelle Nachrichten als kritische Infrastruktur der Demokratie und erklärt, warum eine gesunde und produktive Debattenkultur für den Zusammenhalt demokratischer Gesellschaften unerlässlich ist. Müller, der sich u.a. intensiv mit Demokratietheorie befasst, veröffentlichte 2021 das Buch Democracy Rules. 

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2022 Fellow Christine Landfried sieht in der Einrichtung von Bürgerversammlungen eine Möglichkeit, der größer werdenden Kluft zwischen politischen Eliten und breiter Öffentlichkeit zu begegnen. Die Professorin für Politikwissenschaft argumentiert, dass diese neue Form der politischen Partizipation Räume für den dringend benötigten Dialog zwischen Bevölkerung und Politiker:innen eröffnet. Landfried hat Bürgerversammlungen beobachtet und in den deutschsprachigen Medien prominent darüber berichtet. 

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Anlässlich des Juneteenth-Feiertages, legt Walter Katz in seiner Ansprache dar, wie das amerikanische Strafrechtssystem bis heute zur Aufrechterhaltung von Rassismus beiträgt und die Schwarze Community auch wirtschaftlich unterdrückt. Katz, ein Experte im Bereich Strafverfolgung und Polizei-Aufsicht, erklärt, dass  „der Mord an George Floyd im Jahr 2020 die brutale Fortsetzung der gewaltsamen Aufrechterhaltung von Rassentrennung war.“  Um auf lange Sicht Disparitäten in der amerikanischen Gesellschaft abzubauen, bedürfe es „Geduld, Hingabe und der Bereitschaft der Regierung  und Polizei, unbequeme Wahrheiten zu hören.“

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Angesichts der zunehmenden Durchdringung unseres Lebens durch digitale Technologien, tendenziöse Algorithmen und künstliche Intelligenz, die größtenteils von wenig regulierten Tech-Firmen entwickelt wurden, hält die Kunstjournalistin und 2021 Thomas Mann Fellow Magdalena Kröner privates Engagement für besonders wichtig. In Ihrer Ansprache argumentiert sie, dass zeitgenössische Künstler:innen in einzigartiger Weise in der Lage sind, überraschende Antworten und radikale Denkanstöße zu geben“, wenn es um den selbstbestimmten Umgang mit digitalen Technologien geht. Magdalena Kröner schreibt für Publikationen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Kunstforum International, Monopol und Die Zeit.
 
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Mohamed Amjahid fordert in seinem Statement, dass emanzipatorische Stimmen in transatlantischen Netzwerken mehr Gehör finden sollten. Er wendet sich gegen einen entgleisten Liberalismus und betont die Notwendigkeit, Haltung zu zeigen und mit verletzbaren Minderheiten solidarisch zu sein. Diese Anstrengung sei für inklusive Demokratien überlebensnotwendig. Mohamed Amjahid ist politischer Journalist, Buchautor und Moderator. Er war Redakteur beim ZEITmagazin, wurde unter anderem mit dem Alexander-Rhomberg-Preis und dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet. Für seine Bestseller Unter Weißen und Der Weisse Fleck erhielt Amjahid große Aufmerksamkeit. Amjahid ist 2022 Fellow im Thomas Mann House in Los Angeles.
 
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„Fast nirgendwo sonst in Europa verdienen Frauen so viel weniger als Männer“, sagt die Journalistin und Thomas Mann Fellow Birte Meier über das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in Deutschland. Doch was kann Deutschland von den USA, speziell Kalifornien, lernen, wenn es um Gesetze zur Lohngleichheit geht? Birte Meier studierte North American Studies, Neuere Geschichte und Journalismus. Seit 2007 arbeitet sie als ZDF-Redakteurin für investigative Reportagen aus Politik und Wirtschaft - vor allem über Digitalisierung, Globalisierung und den Wandel von Marktwirtschaft und Demokratie.
 
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Krisen haben schon immer zu unwahrscheinlichen Bündnissen geführt. Auch jetzt ist es an der Zeit, Allianzen gegen Rechtspopulismus und die Klimakatastrophe zu schmieden, fordert der Politikwissenschaftler und Publizist Claus Leggewie. Leggewie ist Inhaber der Ludwig-Börne-Professur an der Universität Gießen und Leiter des dortigen „Panel on Planetary Thinking.“ 2021 war er Honorary Fellow am Thomas Mann House in Los Angeles. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen Die Visegrád-Connection (2021) und Jetzt! Opposition, Protest, Widerstand (2021).
 
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Mit der Biodiversität scheint auch unsere gesellschaftliche Vorstellungskraft immer kleiner zu werden, beklagt die New Yorker Autorin Alexandra Kleeman: „Indem wir uns an den allmählichen Verlust gewöhnen, wird er erst normal und dann unsichtbar.“ Kleemans Beitrag ist ein Aufruf zu kühnem Denken und neuen Zukunftsvisionen. Alexandra Kleeman ist Autorin der Romane "Something New Under the Sun" (2021) und "You Too Can Have a Body Like Mine" (2016), der von der New York Times als Editor's Choice ausgezeichnet wurde. Ihre Belletristik wurde u.a. in The New Yorker, The Paris Review, Zoetrope, Conjunctions and Guernica veröffentlicht. Sie lebt in Staten Island und unterrichtet an The New School.
 
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Der Politikwissenschaftler Michael Zürn warnt: Wer die Idee der Wahrheit in Frage stellt, greift die liberale Demokratie selbst an. Zürn, Direktor der Forschungsabteilung „Transnationale Konflikte und Internationale Institutionen“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Thomas Mann Fellow 2021, erinnert uns daran: „Ohne die regulative Prämisse, dass wir einige Überzeugungen näher an der Wahrheit sehen können als andere, macht eine öffentliche Debatte keinen Sinn.“

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Warum Thomas Mann kein geborener Demokrat war, sondern einer, der sich überreden ließ: Christoph Möllers, Rechtswissenschaftler und Thomas Mann Fellow 2021, beleuchtet die Beweggründe Thomas Manns, sich für die Demokratie stark zu machen und was wir heute von seinem politischen Wandel lernen können. Wie nutzte Mann seine eigene politische Entwicklung, um andere von der Demokratie zu überzeugen? "Die Demokratie lebt gerade von denen, die an ihr zweifeln und überzeugt werden müssen", so Möllers.

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In seinem Beitrag stellt der irische Schriftsteller Colm Tóibín fest: "Demokratie ist ein großer Stabilisator. Aber manchmal öffnet sich ein Raum durch etwas, das in der Vorstellungskraft lebt, eine plötzliche Offenheit für Veränderung." Tóibín spricht über den politischen Wandel und gleichgeschlechtliche Ehe in Irland. Er mahnt uns zur Wachsamkeit - sowohl für wundersame Veränderungen als auch für die dunkelsten Ergebnisse in Demokratien. Colm Tóibín ist der Autor von zehn Romanen, darunter "The Magician", ein Roman, der auf dem Leben von Thomas Mann basiert und im September 2021 bei Simon & Schuster erscheinen wird.

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"Können wir eine Zivilisation aufbauen, die auf Nachrichten und Hypes basiert?", fragt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Wir reagieren auf Bedrohungen wie den Klimawandel, die langfristiges Denken erfordern, im Modus der Kurzfristigkeit. Angesichts dieser Malaise fordert er eine neue "Freiheit des Rückzugs". Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Fellow im Thomas Mann Haus Los Angeles. Sein Buch "Digital Fever: Taming the Big Business of Disinformation" erscheint demnächst.

Melissa Chan fragt: Warum haben so viele Menschen den Glauben an die Demokratie verloren? Und seit wann wird der Begriff „Journalismus“ eigentlich mit „Fake News“ assoziiert? Die Journalistin befasst sich mit den Gefahren für Demokratien weltweit und dem Problem der „gestohlenen Worte“: Wie konnte es passieren, dass Autokratien und Populisten die Bedeutungen des demokratischen Vokabulars gekapert haben? In ihrer Ansprache geht Chan der Frage nach, was wir tun können, um diese „aggressiven Versuche,“ das Narrativ demokratischer Werte umzuschreiben, zu stoppen.

Jody David Armour, Autor und Juraprofessor, stellt in seinem Statement die Frage nach effektiver politischer Kommunikation. Sollten Black Lives Matter-Aktivist*innen ihre politischen Botschaften aufweichen, um die Mehrheit der Amerikaner anzusprechen? Welche Gegenwehr haben Bürgerrechtsaktivist*innen wie Rosa Parks, Martin Luther King oder Medgar Evers erfahren und inwiefern können sie heute eine Inspiration sein? Jody David Armour ist der Roy P. Crocker Professor of Law an der University of Southern California.

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Helmut Anheier, Professor der Soziologie an der University of California, Los Angeles und ehemaliger Präsident der Hertie School in Berlin, plädiert dafür, Wirtschafts- und Sozialpolitik wieder stärker miteinander zu koppeln. Er erinnert an den Soziologen Ralf Dahrendorf und postuliert: Nur wenn verbreitete Ungleichheiten abgebaut und soziale Mobilität gefördert würden, seien gesellschaftlicher Zusammenhalt, politische Teilhabe und eine prosperierende Wirtschaft miteinander in Einklang zu bringen. 

Die Kulturkritikerin und Genderforscherin Karen Tongson (USC) spricht darüber, wie eine angegriffene Demokratie uns ermutigt, die Ganzheit in ihr neu zu betrachten: „Es liegt in unserer Fähigkeit, die Ketten der Zugehörigkeit und des Widerstands zu manifestieren, die erforderlich sind, um die verbleibenden Überreste dieser repräsentativen Demokratie intakt zu halten, bis wir etwas Besseres entstehen lassen.“

Rainer Forst, Professor für politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt, macht in der Frankfurter Paulskirche deutlich, dass die Vernachlässigung der Demokratie unser eigenes Versagen ist. Er appelliert: „Niemand wird und kann ihren Verfall verhindern, wenn wir es nicht selbst tun - mit klaren Konzepten und Urteilen und dem Mut zur Vernunft.“

Soziologin Jutta Allmendiger unterstreicht in der Frankfurter Paulskirche: „Verantwortung für die Demokratie zu übernehmen, bedeutet auch, alles zu tun, um Frauen besser zu stellen“. „Kümmern wir uns um unsere Demokratie!“, mahnt sie. Dazu gehöre auch das Eintreten für die gesellschaftliche Teilhabe aller. Für Frauen, so Allmendinger, sei dies immer noch nicht ausreichend verwirklicht.

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Gleiche Rechte im demokratischen Prozess sollten in liberalen Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit sein, fordert Heike Paul, Inhaberin des Lehrstuhls für Amerikanistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie wendet sich gegen den Pseudofeminismus der neuen politischen Rechten.

Im Ringen um Demokratie sei es falsch, zu pathetisch zu klingen, argumentiert Jan Philipp Reemtsma, Publizist und Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg: „Wir wissen, dass wir Ungleichheit und Diskriminierung nur im Rahmen der Demokratie bekämpfen.“

Ananya Roy, Professorin für Stadtplanung an der UCLA, warnt: „Das Problem des 21. Jahrhunderts ist nach wie vor das Problem der Farblinie“. Die Soziologin fordert eine „radikale Demokratie“, die von sozialen Bewegungen und einer Aufwertung subalternen und untergeordneten Wissens ausgehen sollte.

Timothy Snyder, Professor für Geschichte an der Yale Universität, fragt, warum heutige Demokratien ihre Zukunft verloren haben. Er fordert eine „Politik der Verantwortung“ und verbindet Hoffnungen mit sozialen Plattformen und der Wiederbelebung des Wohlfahrtsstaates.

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Angesichts einer globalen Krise der Demokratie betont Politikwissenschaftler Francis Fukuyama (Stanford University) die aktuelle Relevanz der Radio-Ansprachen Thomas Manns. „Es ist wichtig zu erkennen, dass es am Ende dieses Prozesses Hoffnung gibt, dass die Menschen nicht unter tyrannischen Regimen leben wollen, sondern die Freiheit haben wollen, zu denken, zu schreiben und zu handeln.“


In Medienpartnerschaft mit Deutschlandfunk, Los Angeles Review of Books und Süddeutsche Zeitung.