Thomas Mann und die Seinen in den USA

Die Familie Mann kam im Jahr 1938 nach Exilaufenthalten in Frankreich und der Schweiz in die USA und lebte zunächst in Princeton und ab 1941 in Los Angeles. Geografisch weit entfernt von seinen Wurzeln und seiner ersten Leserschaft wandte sich Thomas Mann über das Radio an die „Deutschen Hörer“. In monatlichen Interventionen kommentierte er von 1940 bis 1945 die Ereignisse des Krieges, warnte früh vor dem Holocaust, sprach sehr konkret von den deutschen Gräueltaten, aber auch von dem erhofften zukünftigen Sieg der Aliierten über die Nationalsozialisten: „Hitler-Deutschland hat weder Tradition noch Zukunft“. Aus seinem Untergang werde ein Deutschland entstehen, das Hass überwinde, Hoffnung und Versöhnung wieder möglich mache.

Bis 1943 vollendete Thomas Mann seinen Roman-Zyklus „Joseph und seine Brüder“ mit dem Band „Joseph der Ernährer“, der auch als eine indirekte Hommage an das Amerika von Präsident Roosevelt gelesen werden kann. Zwischen 1943 und 1947 entstand im „schönsten Arbeitszimmer, das ich je hatte“, der Deutschland-Roman schlechthin: „Doktor Faustus“, eine „fiktive Künstler-Biographie“, in der ein nach Außergewöhnlichem strebender Komponist seine Seele an den Teufel verliert und darüber zugrunde geht, so wie Deutschland am Wahnsinn des Nationalsozialismus. Thomas Mann nannte es den „Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hochprekären und sündigen Künstlerlebens“, durchaus mit Zügen einer „Selbstverspottung“.

Im Frühjahr 1946 unterzog sich Thomas Mann in Chicago einer schweren Lungenoperation, von der er sich rasch erholte. Trotz seines politischen Engagements, seiner vielen Vortragsreisen durch die USA und seiner gesundheitlichen Krise war Thomas Mann gerade in den Jahren im Haus am San Remo Drive bewundernswert produktiv. Neben der erzählerischen Arbeit (zu der auch „Das Gesetz“ gehört, eine Moses-Novelle) entstanden wichtige Essays, darunter „Deutschland und die Deutschen“, „Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung“, „Goethe und die Demokratie“ aber auch „Meine Zeit“, ein beschwingter und sehr anschaulicher autobiographischer Rückblick.

In neuen Haus schrieb der Nobelpreisträger auch sein vielleicht persönlichstes Buch, das 1949 unter dem Titel „Die Entstehung des Doktor Faustus“ erschien. Dieser meisterhafte Bericht bietet ein lebendiges Bild von Thomas Mann und seiner Welt im amerikanischen Exil. Er zeigt seinen Alltag, seine Schreibarbeit, das Familienleben, die sozialen Kontakte, und gibt Einblick in sein Tagebuch und seine Lektüre-Erfahrungen. Die Leser verfolgen das Nachdenken über Deutschland, Amerika, das Exil, auch über die Musik. Dieses Selbstporträt bietet einen Einblick in die Sphäre von Thomas Mann; in der entspannt-eleganten und zugleich selbstironischen Darstellung manifestiert sich der Geist des neuen Hauses an diesem europafernen Ort.

Noch einmal taucht er tief ein in die eigene Vorgeschichte, zeichnet seinen Weg nach vom realistischen zum mythischen Erzählen und nennt seine für ihn prägendsten Lektüren, Nietzsche, Heine, Kierkegaard, Tolstoi. Er berichtet von den Reisen durch die USA, von der Krankheit und der Operation, von der US-Einbürgerung. Auch die Seinen treten auf: Bruder Heinrich, dessen Frau Nelly, seine Gattin Katia, alle sechs Kinder, dazu die künstlerischen Freunde und Berater von Theodor Adorno bis Bruno Walter.

Thomas und Katia Mann mit Enkeln. TMA_3072 - ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Photographer: Unknown

Ein Familienhaus war das neue Domizil nur selten. Erika Mann war zunächst in britischer Uniform als Kriegsreporterin unterwegs, mit Stationen in Lissabon und Kairo, später im besiegten und besetzten Deutschland. Nach Kriegsende begann sie zunehmend, für Thomas Mann als seine „Adjutantin“ und spätere Nachlasshüterin zu arbeiten.

Klaus Mann wurde nach längerer Wartezeit in die amerikanische Armee aufgenommen und diente in einer Propaganda-Kompanie auf dem gefährlichen Italien-Feldzug. Zuvor hatte er zwei große Texte vollendet, einen Essay über André Gide und den autobiographischen Roman „Der Wendepunkt“. Nach Kriegsende besichtigte er das halb zerstörte Familienhaus im Münchner Herzogpark, das zerbombte Berlin, aber auch das befreite Prag und das Konzentrationslager Theresienstadt. Nach der Entlassung aus der Armee geriet er in eine persönliche Krise, unternahm 1948 einen Selbsttötungsversuch, flüchtete aus Kalifornien an die französische Côte d'Azur, wo er im Mai 1949 seinem Leben ein Ende setzte.

Die Schwester Monika erlebte ihre persönliche Tragödie 1940, als das Schiff versenkt wurde, mit dem sie von England in die USA fliehen wollte. Ihr Mann ertrank, sie selbst konnte gerettet werden, doch im Haus der Eltern wurde sie nicht glücklich, lebte eine Weile in New York, wo sie sich wohl fühlte und zu schreiben begann, ehe sie nach Europa zurückkehrte.

Golo Mann war zunächst für die amerikanische Armee bei Radio London im Einsatz, später bei einem Sender in der amerikanischen Besatzungszone. Auch er kam von Zeit zu Zeit als Besucher nach Pacific Palisades, als er an einem College östlich von Los Angeles unterrichtete. Er wurde ein bekannter Historiker und Schriftsteller.
Die spätere Seerechtsexpertin und Ökologin Elisabeth Mann Borgese und ihr italienischer Gatte lebten während der Exiljahre in Chicago. Nach dem Krieg gingen sie nach Italien. Elisabeth kehrte nach dem Tod ihres Mannes nach Kalifornien zurück und lebte zuletzt in Halifax (Kanada). Sie war 1970 als einzige Frau Gründungsmitglied des Club of Rome.

Michael Mann ließ sich mit seiner Schweizer Frau und seinen beiden Söhnen Frido und Toni in San Francisco nieder, machte eine Karriere als Orchestermusiker, aber auch als Solist (Bratsche), für den bekannte Komponisten neue Werke schrieben. Er blieb in den USA, als die übrige Familie schon wieder in Europa lebte, sattelte aber um von der Musik auf die Germanistik. Frido war Thomas Manns Lieblingsenkelkind. Es diente als Vorbild für das Kind Nepomuk, genannt Echo, im „Doktor Faustus“.

Katia Mann hatte sich in Princeton (1938/39) durchaus wohl gefühlt und den Umzug nach Los Angeles zunächst bedauert. Doch später sagte auch sie, dass „die San Remi“, wie das Haus im Familienjargon hieß, wohl das schönste Haus war, in dem die Familie je ihren Mittelpunkt hatte. Fotos von Florence Homolka, einer Tochter der Mäzenin Agnes Meyer, die den Bau dieses Hauses finanziell abgesichert hatte und der Thomas Mann auch sonst einiges verdankte, haben Eindrücke vom Wohnglück der Manns lebendig dokumentiert.

Nach 1947 verschlechterte sich das Verhältnis der Manns zu den Vereinigten Staaten aus politischen Gründen. Der Kalte Krieg, die McCarthy-Zeit, das nachlassende Interesse des amerikanischen Lese-Publikums trugen dazu bei. Nun lockte wieder Europa, der dortige Buchmarkt wurde erneut bedeutsam. Nach Deutschland kamen Thomas und Katia Mann erstmals wieder im Jahr 1949, und dann 1954 und 1955. Thomas Manns Nachkriegspublikationen wurden große Erfolge in der alten Heimat, im Osten wie im Westen.
Ab 1947 reisten die Manns einmal jährlich in die Schweiz, 1952 blieben sie im Land der Eidgenossen, wohnten vorübergehend in Erlenbach, ehe 1954 in Kilchberg bei Zürich das letzte Familiendomizil bezogen wurde. Dort starb Thomas Mann im Jahr 1955, Katia Mann im Jahr 1980.

Manfred Flügge