Thomas Mann House
“Das Haus war so ganz das meine” [i]
Als das Haus mit der Adresse 1550 San Remo Drive im Sommer 2016 zum Kauf angeboten wurde, fehlte jeder Hinweis darauf, dass es sich bei der Immobilie um den ehemaligen Wohnsitz von Thomas Mann und seiner Familie handelte. Die Maklerin warb im Hinblick auf potenzielle Käufer mit dem Grundstück und nicht mit dem Haus und seiner Architektur. Bald wurden Stimmen laut, die sich öffentlich dafür aussprachen, einen drohenden Abriss zu verhindern und das Haus als Erinnerungs- und Debattenort zu erhalten, darunter der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Herta Müller, die wie Thomas Mann mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
Im Sommer 1940 waren die Manns zunächst auf einen Probebesuch nach Kalifornien gekommen und hatten für drei Monate ein Haus in Brentwood (441 North Rockingham Avenue) gemietet. Im Frühjahr 1941 zogen sie von Princeton endgültig an den Pazifik und mieteten zunächst das Haus 740, Amalfi Drive, oberhalb des Santa Monica Canyons, in Nachbarschaft von Eva Herrmann, Aldous Huxley, Bruno Frank, Ludwig Marcuse, Salka Viertel und den Feuchtwangers, die noch auf der Suche nach dem idealen Haus waren und es erst 1943 fanden. Thomas Mann und seine Familie erteilten den Auftrag zum Bau des Hauses am San Remo Drive 1941 an den Architekten Julius Ralph Davidson (1889 - 1977) und lebten darin bis zum Jahr 1952.
Davidson, 1889 in Berlin geboren und seit 1923 in Los Angeles lebend, gilt als einer der Hauptvertreter der kalifornischen Moderne. Bevor Thomas Mann sich für ihn entschied, unternahm er gemeinsam mit Richard Neutra eine Besichtigungstour der bedeutendsten modernen Wohnhäuser in Los Angeles. Zunächst reichte Paul Laszlo zwei Entwürfe ein, die jedoch verworfen wurden, ebenso wie eine Zusammenarbeit mit Richard Neutra.
Der Baubeginn verzögerte sich immer wieder und wurde im April 1941 zwischenzeitlich abgesagt. Dass die Manns das Haus letztlich doch bauen ließen, ist einerseits der finanziellen Absicherung durch die Journalistin Agnes Meyer, andererseits dem Wunsch Thomas Manns nach einem repräsentativen Umfeld geschuldet. Die Entscheidung für den Hausbau im kalifornischen Exil kann als Bekenntnis zu Amerika gelesen werden. Sie unterstreicht den „damals unter den deutschen Exilanten seltenen Willen, in Kalifornien Wurzeln schlagen zu wollen“.[ii] Die Entscheidung für einen modernen Entwurf scheint dabei weniger ästhetisch motiviert, als vielmehr Folge der Wahl eines Architekten aus dem vertrauten Kreis deutschsprachiger Exilanten. Katia Mann gab gegenüber der Los Angeles Times folgende Feststellung ab: „So wohnen wir nun in einem modernen Haus. Wir mögen es dennoch.“[iii] Davidsons Entwurf, der in enger Abstimmung mit Katia und Thomas Mann entstand, fiel gemäßigt modern aus. Der Architekturhistoriker Thomas Hines spricht von einer „more gemütlich version of the International Style“.[iv] Davidson selbst nennt ihn „nostalgic German“.[v] Christopher Hawthorne, Architekturkritiker, misst dem Gebäude in der Los Angeles Times eine hohe architektonische Bedeutung bei.[vi]
Das Haus hat fünf Schlafzimmer, der Grundriss führt „vom Profanen zum Allerheiligsten“,[vii] dem Arbeitszimmer mit dem Münchner Schreibtisch, das aus der Längsachse verschoben und durch einen kleinen Korridor mit Manns Schlafzimmer im Obergeschoss direkt verbunden ist. Mit der Innenausstattung wurde Paul Huldschinsky beauftragt, ein Freund der Familie Mann, der ebenfalls aus Berlin stammt – sehr zum Leidwesen von Davidson, der für die architektonische Qualität seiner Raumaufteilung und Gestaltung von Innenräumen bekannt war. Huldschinskys Entwurf repräsentierte „gediegene Bürgerlichkeit“, wie sie auch die Münchner Villa der Manns prägte[viii] ‒ und stand damit für Kontinuität. Das Haus am San Remo Drive wurde laut Heinrich Wefing zur Verkörperung der zwei Prinzipien des Exils: Die äußere Gestalt des „Seven Palms“ genannten Hauses symbolisierte die Anpassung an die kalifornische Umwelt, während im Inneren „das bewohnte Museum einer verlorenen Heimat“ entstand.[ix]
Im Weißen Haus des Exils, wie Frank-Walter Steinmeier es nennt, thematisierte Mann in Essays und Büchern die drängenden politischen Probleme seiner Zeit sowie die Frage nach einem gemeinsamen Wertefundament der westlichen Demokratien. Hier entstand der Großteil seiner Radioansprachen „Deutsche Hörer!“, die von der BBC nach Deutschland ausgestrahlt wurden.
1944 nahm Thomas Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Sein Haus in Pacific Palisades war ein „Fixpunkt in der unübersichtlichen Topographie des deutschen Exils in Südkalifornien“,[x] ein „Triumphort des Geistes über die Barbarei“.[xi] Der Ankauf durch das Auswärtige Amt für die Bundesrepublik Deutschland im November 2016 erfolgte mit dem ausdrücklichen Ziel, mit diesem Haus einen transatlantischen Debattenort zu schaffen. Der Mann-Experte Tilmann Lahme spricht von einer „Glücksstunde der deutschen Kulturaußenpolitik“.
In Verantwortung des Villa Aurora & Thomas Mann House e.V. entsteht im Thomas Mann House ein Residenzprogramm, das Intellektuellen und Vordenkern Gelegenheit zum Austausch untereinander und mit dem Gastland über die großen Fragen unserer Zeit bietet. Es wird vom Auswärtigen Amt, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und Mitteln von Stiftungen finanziert.
[i] Thomas Mann, Tagebücher 1953, S. 34.
[ii] Peter Richter und Andrian Kreye, “Bundesrepublik kauft Thomas-Mann-Villa in Los Angeles”, Süddeutsche Zeitung, 18. November 2016.
[iii] Los Angeles Times, 19. Dezember 1948.
[iv] Thomas S. Hines, Architecture of the Sun, S. 518.
[v] Zit. n. Heinrich Wefing, “Das Haus des Zauberers”, in: Building Paradise: Exile Architecture in California. Villa Aurora Edition, Berlin 2004, S. 70.
[vi] Christopher Hawthorne, “Thomas Mann House by midcentury great J.R. Davidson: L.A.‘s next big teardown?“, Los Angeles Times, August 15, 2016.
[vii] Heinrich Wefing, “Das Haus des Zauberers”, in: Building Paradise: Exile Architecture in California. Villa Aurora Edition, Berlin 2004, S. 64.
[viii] Heinrich Wefing, “Das Haus des Zauberers”, in: Building Paradise: Exile Architecture in California. Villa Aurora Edition, Berlin 2004, S. 80.
[ix] Heinrich Wefing, “Das Haus des Zauberers”, in: Building Paradise: Exile Architecture in California. Villa Aurora Edition, Berlin 2004, S. 82.
[x] Heinrich Wefing, “Das Haus des Zauberers”, in: Building Paradise: Exile Architecture in California. Villa Aurora Edition, Berlin 2004, S. 50.
[xi] Dr. Dirk Heißerer, “Ich wollte, Dr. Göbbels könnte es sehen”. Leserbrief, Süddeutsche Zeitung, 22. November 2016.