News |"Auf nach Moskau! " Reiseberichte aus dem Exil. Ein internationales Symposion.

Von Cordula Greinert Der Text erschien zuerst im "Neuer Nachrichtenbrief" der Gesellschaft für Exilforschung. (www.exilforschung.de)

Hermann Haarmann | Foto: VATMH/Mirko Lux

Vor 80 Jahren erschien im Amsterdamer Querido-Verlag Lion Feuchtwangers bis heute höchst umstrittenes Buch Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde. Die von Anne Hartmann (Bochum) in langjähriger Archivarbeit zusammengestellte Dokumentation „Ich kam, ich sah, ich werde schreiben“. Lion Feuchtwanger in Moskau 1937 (Göttingen 2017) war Anstoß für ein darüber hinaus gehendes Internationales Symposion zu Moskau-Reiseberichten (nicht nur) aus dem Exil. Der „Auf nach Moskau!“ betitelte 8. Berliner Kongress zum Exil 1933-1945 fand unter der Leitung von Hermann Haarmann (Berlin) und Anne Hartmann mit Unterstützung der Stiftung Preußische Seehandlung, des Instituts für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin sowie des Vereins Villa Aurora & Thomas Mann House vom 8. bis 9. Dezember 2017 im Literaturhaus Berlin statt.

Schon in seiner Begrüßung skizzierte Hermann Haarmann ein Panorama von Reaktionen (west-)europäischer (Links-)Intellektueller auf die Russische Revolution von 1917 und das Fortschreiten des kommunistischen Experiments der Sowjetunion: von euphorischem Beifall über kontrovers akzentuierte Zustimmung bis zur kritischen Revision und Abkehr von den ursprünglichen Hoffnungen.

Dieses Panorama führten Anne Hartmann und Inka Zahn (Amsterdam) in ihrem einleitenden Vortrag „Phasen der Russlandfaszination von 1917 bis 1937. Die deutschen und französischen ‚Pilger zum Roten Stern‘“ genauer aus. Dabei definierten sie vier Reisezeiträume von der unmittelbaren Nachrevolutionszeit über die Neue Ökonomische Politik und den ersten Fünfjahrplan bis zur zeitgleichen Etablierung des Nationalsozialismus und des Front populaire mit Feuchtwangers Moskau-Reise als Schlusspunkt. Dabei zeigten sie nicht nur, dass die dieser Einteilung zugrunde liegenden politischen Entwicklungen mit distinkten Reisegruppen korrespondierten, sondern auch, wie sich die Gewichtung von politischen und kulturellen Aspekten verschob und gegenseitig bedingte. Während die meisten der daraus entstehenden Reiseberichte (teils vorrevolutionären) dichotomen Mustern von Abstoßung und Anziehung verhaftet blieben, verfassten Luc Durtain, Léon Moussinac, Walter Benjamin und Joseph Roth Texte, die ihren disparaten Erfahrungen der Sowjetunion Ausdruck gaben.

Anschließend sprach Michael David-Fox (Washington, D.C.) über „Soviet Approaches to Foreign and Domestic Intellectuals. From the Smenovekhovtsy to the Fellow-Travellers“. In seinem Abriss politischer Intellektuellengeschichte der 1920er und 1930er Jahre legte er den Fokus auf die Wechselwirkungen zwischen Reisenden und sowjetischen Gastgebenden. Zudem verknüpfte er die bisher separat behandelten Gruppen sowjetischer, exil-russischer und ausländischer Intellektueller, wobei er verschiedene Konzepte von „Intellektuellen“ und der „Intelligenzia“ berücksichtigte. Seine Analyse eines sowjetischen „cult of culture“ war für das Verständnis der Reiseberichte bereichernd.

Christoph Hesse | Foto: VATMH/Mirko Lux

Christoph Hesse (Berlin) leistete mit seinem Fallbeispiel „Veränderte Perspektive. Der Emigrant als Handlungsreisender – Ervin Sinkós ‚Roman eines Romans‘“ neben einer Vertiefung auch eine Erweiterung des Themas. Die Fluchtgeschichte Sinkós und die Publikationsgeschichte seines Werks – eines „Moskauer Tagebuchs“ – illustrierten anschaulich die Mehrfachverfolgung exilierter jüdischer Kommunist*innen, der Einblick in die sowjetische Filmpolitik und -ästhetik der 1930er Jahre beleuchtete ein weiteres Feld künstlerischen Schaffens.

Michael Rohrwasser (Wien/Berlin) skizzierte in seinem Vortrag „Im Zeichen von Bündnispolitik und Volksfront – der Moskauer Schriftstellerkongress und seine deutschen Gäste“ eine Bandbreite der Reaktionen deutscher Exilanten auf den Kongress: von Ablehnung (Kurt Tucholsky, George Grosz) über eine insgesamt zustimmende und hoffnungsvolle Darstellung (Klaus Mann) bis hin zu einer zunächst enthusiastischen, später revidierten Wahrnehmung (Gustav Regler). Augenfällig sei gewesen, dass alle anwesenden deutschen Teilnehmer – als Exilautoren – offensichtlich beeindruckt waren von der in Moskau zur Schau gestellten überbrückten Kluft zu den Leser*innen, die so im Exil für sie nicht erreichbar war. Vor diesem Hintergrund deutete Rohrwasser dann ihre Bereitschaft, der Idee einer diktatorischen Durchsetzung der Vernunft nicht nur negative Aspekte abzugewinnen.

Falko Schmieders (Berlin) Beitrag „‚Dreams of a better life‘. Ernst Blochs Weltflucht im Exil“ führte nicht nach Moskau, sondern zu Blochs Suche nach einem Ort der Utopie in seinem in New York entstandenen, letztlich als Das Prinzip Hoffnung veröffentlichten Werk. Als problematisch daran wertete Schmieder das Festhalten an etablierten philosophischen Begriffen und Kategorien. Anders als bei Benjamin, Adorno oder Horkheimer hätten die fundamentalen gesellschaftlichen Brüche der 1930er und 1940er Jahre Blochs philosophisches Denken nicht verändert. Angesichts dieses Befundes sei ihm – trotz seiner politischen Interventionen und seiner Ausrichtung auf die Zukunft – Weltflucht zu attestieren.

Manfred Jendryschik (Leipzig) zeichnete in seinem auf den Erfahrungen eines Autors, Herausgebers und Lektors in der DDR beruhenden Vortrag „‚Totgesagt‘. Berichte über das Exil in der Sowjetunion in DDR-Verlagen“ die Geschichte Trude Richters und ihrer titelgebenden Erinnerungen nach. Aufgrund der darin beschriebenen Gulag-Erfahrungen konnte das Buch erst 1990 – ein Jahr nach Trude Richters Tod und zeitgleich mit dem Ende der DDR – erscheinen. Jendryschiks Kritik an der DDR-Publikationspolitik und -Geschichtsschreibung zum sowjetischen Exil fiel entsprechend hart aus.

Zum Abschluss des ersten Tages las der Schauspieler Hermann Beyer (Berlin) Auszüge aus Moskau-Reiseberichten von Alfons Goldschmidt, Arthur Holitscher, Joseph Roth, Ernst Toller, Armin T. Wegner, F. C. Weiskopf, Oskar Maria Graf, André Gide und Lion Feuchtwanger.

Der Samstag war zwei abschließenden Podiumsdiskussionen vorbehalten.

Die erste thematisierte „Die große Kontroverse: André Gide, ‚Retour de l’U.R.S.S.‘ und Lion Feuchtwanger, ‚Moskau 1937‘“. Inka Zahn interpretierte dabei Gides Text als „Bericht einer Desillusionierung“, dessen grundsätzlich aufrechterhaltene Loyalität zur Sowjetunion erst durch die aufgrund der Kampagne gegen ihn verfassten „Retouches“ aufgekündigt wurde. Anne Hartmann analysierte Feuchtwangers Buch als Text „im Dickicht der Wertungen“. Exemplarisch sei hierfür sein Umgang mit Kritik an der Sowjetunion: So benenne Feuchtwanger Kritik, widerlege sie aber. Unter den zeitgenössischen Bedingungen gelte gleichzeitig auch das Gegenteil: Zwar widerlege er Kritik, doch benenne er sie immerhin. Ian Wallace (Bath) warf mit seinen drei zugespitzten Thesen gewollt widersprüchliche, erhellende Schlaglichter auf Feuchtwanger und dessen Text: 1. Er sei politisch naiv. 2. Er sei politisch-strategisch klug. 3. Der Autor begehe Verrat an seinem Text – er sei also nicht einfach verführbar, sondern korrumpierbar. Wie Hartmann wies auch Wallace darauf hin, dass angesichts der realen faschistischen Gefahr seit 1933 ein Bruch mit der Sowjetunion als Schwächung antifaschistischer Positionen gesehen wurde. In der anschließenden Diskussion wurden weitere wesentliche Kontexte dargelegt: So kamen unter anderem zeitgenössische Überlegungen zur Rolle der Gewalt in historischen Prozessen zur Sprache, vor allem Vergleiche der Russischen mit der Französischen Revolution und ihrer „Terreur“. Anne Hartmann betonte, dass es nicht um eine Apologie von Feuchtwangers Werk gehe, sondern um seine Wiederentdeckung als Zeugnis einer spezifischen historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Konstellation.

Anne Hartmann | Foto: VAMTH/Mirko Lux

Die zweite Podiumsdiskussion weitete den Blick dann abschließend auf „Die revolutionäre Versuchung: Westliche Intellektuelle und die Sowjetunion der 20er/30er Jahre“. Michael David-Fox griff einige Argumente aus der vorangegangenen Diskussion auf und konstatierte, dass für westeuropäische Moskau-Reisende weniger finanzielle Anreize als die Aussicht auf Ruhm und die Illusion politischen Einflusses – welcher seit der Dreyfus-Affäre elementar für das Selbstverständnis von Intellektuellen war – attraktiv gewesen seien. Eine politisch-religiöse Anziehungskraft des Kommunismus sah er hingegen nicht als wesentlich an. Gides abweichendes Urteil über die Sowjetunion erklärte er nicht zuletzt mit dessen antikolonialistischen Reiseerfahrungen. Reinhard Müller (Hamburg/Ekekull, Schweden) wies insbesondere darauf hin, dass in Bezug auf die These pekuniärer Anreize noch diverse finanzgeschichtliche Studien ausstünden – so zum Bund der Freunde der Sowjetunion oder zur Komintern. Wilfried F. Schoeller (Berlin) stellte die beiden zeitgleich wirkenden Konzeptionen von Schriftstellern als Komödianten des Systems und als elementar für die Identifikation mit dem System als antagonistische Positionen gegenüber. In Übereinstimmung mit Anne Hartmann charakterisierte er Feuchtwangers Buch als symptomatischen Text der Hoffnung seiner Zeit, der daher wichtig, wenn auch nicht haltbar sei. Gegen die Annahme, endgültige Urteile über „die Kommunisten“, die in einem Beitrag aus dem Publikum pauschal verurteilt worden waren, seien bereits möglich, betonte er, dass es weiterhin erforderlich sei, Details der damaligen Erfahrungen und Existenzbedingungen zu erkunden.

Erscheinen sollen die Referate des Symposions, dessen Thema, wie die Diskussionen zeigten, nach wie vor großes Potenzial für Kontroversen birgt, in der Reihe kommunikation & kultur, die schon frühere Bände der Berliner Kongresse zum Exil 1933-1945 veröffentlichte.

Cordula Greinert, M.A.

Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur

- P. Walter Jacob Archiv -

www.exilforschung.uni-hamburg.de

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